19.11.2024 | Mit einer Gedenkstunde im Gemeindehaus der Ev. Kirchengemeinde und Kranzniederniederlegungen an den Gedenkstätten an der Kirche, auf dem Friedhof Nord und in Quickborn-Renzel
gedachte die Stadt der Toten aus den beiden Weltkriegen. Zu der Feierstunde hatten sich Vertreter aller Parteien und verschiedener Organisationen sowie zahlreiche Bürger eingefunden. Wir
veröffentlichen die Reden im Wortlaut.
Grußwort Bürgermeister Beckmann zum Volkstrauertag 2024
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie zum heutigen Volkstrauertag. Ein Tag stillen
Innehaltens, ein Tag, an dem der Menschen gedacht wird, die Opfer
von Krieg oder Gewaltherrschaft wurden. In zahlreichen Orten werden
bundesweit verschiedene Gedenkveranstaltungen auf Friedhöfen, an
Gedenkorten sowie Gottesdienste abgehalten, um an die Menschen zu
erinnern, die wegen ihres Glaubens, ihrer Abstammung oder ihrer
politischen Gesinnung zu Opfern wurden. Wir trauern heute um alle
diese Menschen – jedes gewaltsam beendete Leben ist ein
unersetzbarer Verlust.
Der Volkstrauertag wurde durch den 1919 gegründeten Volksbund
Deutsche Kriegsgräberfürsorge zum Gedenken an die Kriegstoten des
Ersten Weltkrieges eingeführt. Nicht etwa "befohlene" Trauer war das
Motiv. Sondern das Setzen eines unübersehbaren Zeichens der
Solidarität derjenigen, die keinen Verlust zu beklagen hatten, mit den
Hinterbliebenen der Gefallenen.
Die erste offizielle Feierstunde fand 1922 im Deutschen Reichstag in
Berlin statt. Der damalige Reichstagspräsident Paul Löbe hielt eine im In-
und Ausland vielbeachtete Rede, in der er einer feindseligen Umwelt
den Gedanken an Versöhnung und Verständigung gegenüberstellte.
Und das gilt bis heute – vielleicht heute mehr denn je.
Dirk Wiese, Jurist und Mitglied des Deutschen Bundestages, erklärt:
„Der Volkstrauertag 2024 bietet einen wichtigen Anlass, um die
Bedeutung der Erinnerung, der Bildung und des internationalen Friedens
in den Vordergrund zu rücken und gleichzeitig die Grundlagen für eine
zeitgemäße und inklusive Gedenkkultur zu schaffen – ganz gemäß dem
Leitbild des Volksbundes: „Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für
den Frieden.“ (Ende des Zitats)
Wolfgang Schneiderhan, Präsident des Volksbundes Deutsche
Kriegsgräberfürsorge, erinnert an den 7. Oktober 2023, als die Nachricht
des Terrorangriffs der Hamas auf Israel und seine Bevölkerung die Welt
erschütterte. Die daraus entstandene Bewegung „Nie wieder ist jetzt“
drückt weltweit Solidarität mit den Opfern aus, aber auch den
Gedanken, dafür einzutreten, Hetze zu unterbinden und Informationen
kritisch zu betrachten.
Er führt aus:
„Durch unser Gedenken am Volkstrauertag an die weltweiten Opfer von
Krieg und Gewaltherrschaft wollen wir die Erinnerung an die
Schrecken des Krieges wachhalten und somit Kriegen und
Gewaltherrschaften aktiv entgegentreten. „Nie wieder“ heißt also nicht
nur, sich an die Vergangenheit zu erinnern, sondern bedeutet vielmehr,
dem Hass heute entschlossener denn je entgegenzutreten. Es
bedeutet auch, Falschinformationen als solche zu benennen und sich an
die Seite derer zu stellen, die Angriffen ausgesetzt sind.
Als eine Gesellschaft, der die Demokratie, Menschenrechte und die
Würde jedes einzelnen Menschen wichtig sind, müssen wir resilienter
werden. Eine engagierte, widerstandsfähige Gesellschaft und eine
stabile, der Wahrheit verpflichtete Demokratie bedingen einander.“
(Ende des Zitats)
Krieg ist schrecklich. Er bedeutet Verlust von Menschlichkeit, von Leben,
von Zukunft und von Träumen. Mich erfüllt es mit tiefer Dankbarkeit,
dass wir in unserem Land seit Jahrzehnten in Frieden leben können.
Doch der Krieg in der Ukraine und die kriegerischen
Auseinandersetzungen in Israel mahnen uns, dass Frieden keine
Selbstverständlichkeit ist. Wir müssen mehr denn je dafür kämpfen,
Frieden zu bewahren. Die Friedensaufgabe geht uns alle an und die
aktuellen Ereignisse machen das mehr denn je deutlich. Wir müssen
Hass, Diskriminierung und Gewalt bereits im Keim ersticken. Wir müssen
uns lauter werdenden Stimmen entgegenstellen, die Ängste schüren
und Gräben vertiefen.
Unsere Gesellschaft lebt von Akzeptanz, Pluralismus, Individualität und
Toleranz. Demokratische Grundprinzipien zu wahren, ist die
Voraussetzung für eine friedvolle Gesellschaft. So ist der
Volkstrauertag zu einem Tag der Mahnung zu Versöhnung,
Verständigung und Frieden geworden.
Unsere Großeltern und Eltern waren Zeugen dieser schrecklichen
Ereignisse. Doch die Erinnerung wird mit den Jahren immer blasser.
Die Zeitzeugen sterben und die Nachkommen der Kriegsgeneration
verlieren den Bezug zu vergangenen Ereignissen. Damit genau das nicht
passiert, sind Gedenktage wie der Volkstrauertag so wichtig.
Nehmen wir diesen Volkstrauertag daher als Mahnung und Aufruf
zugleich, für Frieden und Toleranz einzustehen. Wir können Frieden
nur bewahren, wenn wir aktiv, mutig und entschlossen für Frieden
einstehen. Das gilt in der Weltpolitik genauso wie im Rahmen unseres
täglichen Umgangs miteinander. Die Botschaft des heutigen Tages
lautet Frieden und Versöhnung. Jeder einzelne und wir alle als
Gemeinschaft sind aufgerufen, dafür mit Überzeugung einzutreten.
Rede der Schüler des Elsensee-Gymnasiums zum Volkstrauertag 17.11.2024:
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
wie oft halten wir inne und fragen uns: Wie viel bedeutet uns der Frieden, in dem wir leben?
Heute, am Volkstrauertag, erinnern wir uns an jene, denen dieser Frieden verwehrt blieb und
mahnen uns selbst, ihn zu bewahren.
Doch nicht nur das.
Der Volkstrauertag ist nicht nur ein stiller wortkarger Tag des Innehaltens,
sondern auch ein Tag des lauten Muts. Er macht uns bewusst, dass wir noch am
Leben sind. Er zeigt uns, dass es nicht selbstverständlich ist jeden Morgen in
Frieden, Demokratie und Sicherheit aufzuwachen, täglich zur Arbeit zu gehen
und nicht hinterfragen zu müssen, dass unsere Grundbedürfnisse erfüllt sind.
In Zeiten, wo Kriege in unserer Nachbarschaft toben und sich Gruppen wegen
ihrer Religion wieder einmal auslöschen wollen, ist es nicht selbstverständlich
in einem geschützten Raum, wie diesem hier, zusammen zu kommen und an
die Menschen zu erinnern, die dieses Glück nicht haben.
Am Volkstrauertag gedenken wir nicht nur der Opfer von Gewalt, sondern
immer aktueller auch derer, die durch Gewalt bedroht sind. Wir tun dies
nicht nur aus gutem Ton und Respekt voreinander, sondern auch weil wir
sehen, welches Leid, Gewalt, Terror und Hass auslösen und wie schnell wir
selbst davon betroffen sein können. Es ist also nicht nur ein Tag der Mahnung.
Es ist gleichwohl ein Tag der Warnung.
Und trotz der tristen Stimmungen, die mit dem Gedenken an Opfer von Krieg
und Ausgrenzung einhergehen, möchten wir mit dem Volkstrauertag auch ein
Zeichen für gelebte Erinnerungskultur setzen. Ein Zeichen in dem auch noch ein
bisschen Hoffnung steckt, denn die brauchen wir, um mutig in die Welt zu
gehen und für unsere Werte einzustehen.
In Quickborn wurde im Jahr 2024 ein besonderes Denkmal eingeweiht, welches
sich mit der Erinnerung an Diskriminierung aber auch den Gefahren für die
Demokratie beschäftigt. Die Rede ist vom Paul Warnecke Weg, der im Juni
offiziell umbenannt wurde.
Ein kleiner Sandweg durch das Birkenwäldchen am Bahnhof Quickborn. Wenn
man auf ihm verweilt, fällt es nicht auf, welche Bedeutung diese Fläche hat.
Doch genau an dieser Stelle wurde am 5. März 1933 nach der Machtergreifung
der Nationalsozialisten der Kommunist Paul Warnecke erschossen.
Damit gilt er als erstes Opfer von nationalsozialistischer Gewalt in Quickborn.
Als Mitglied einer Schutzformation wollte er Häuser von linken Politikern vor
Übergriffen von Nationalsozialisten schützen und wurde an jenem Abend
unbewaffnet von einem SA-Mann mit mehreren Schüssen niedergestreckt.
Paul Warnecke wurde nur 19 Jahre alt, so alt wie ich heute. Er hatte sein ganzes Leben vor sich.
Und doch entschied ein Moment der Gewalt, dass er dieses Leben nie leben durfte.
Und gerade diese Geschichten von Menschen, die zu Unrecht aus dem Leben
gerissen wurden, mahnen uns, welches Privileg wir heute haben.
Wir leben im 21.Jahrhundert, die Menschheit hat Jahrtausende des Krieges überlebt, zwei
Weltkriege mit fast 80 Millionen Toten, eine blutige Mahnung, dass der Frieden das kostbarste
Gut ist, das wir hüten müssen. Es sollte selbstverständlich sein nicht mehr die Waffen sondern
Worte zu ergreifen, und Konflikte zu lösen.
Und dennoch sterben tagtäglich Menschen durch Krieg und Gewalt. Und
niemand ist da, um die Angehörigen zu trösten, die Toten beizusetzen und ihr
Andenken zu ehren. Weil die Menschheit langsam wieder beginnt, die Augen
vor den Leiden der Welt (wieder) zu verschließen, obwohl wir uns geschworen
hatten, dieses Nie wieder unter keinen Umständen zu zulassen.
Mit dem Volkstrauertag müssen wir Jahr für Jahr versuchen, diesem Anspruch
gerecht zu werden. Denn wenn wir die Sinnhaftigkeit unserer
Erinnerungskultur in Frage stellen, geben wir indirekt die Hoffnung auf eine
friedvolle Zukunft auf. Da jene Hoffnung das ist, was unsere Welt vor dem
Versagen des gemeinsamen Zusammenlebens abhält.
Die Hoffnung stirbt nicht, sie lebt in jedem von uns, wenn wir uns dafür entscheiden,
gemeinsam für eine bessere Welt einzustehen.
Sie ist eine Entscheidung, die wir treffen, jeden Tag aufs Neue. Ob wir das
Unrecht und die Abscheulichkeiten in der Welt weiter so hinnehmen wollen,
oder ob wir endlich gemeinsam beginnen für den Zusammenhalt einzustehen.
Wir sehen also, dass das Privileg dieses sicheren Raumes, dieser sicheren
Gemeinschaft keineswegs selbstverständlich ist und auch nie war.
Und wir sind alle aufgerufen dies zu beschützen!
Jedes Jahr erinnert uns der Vokstrauertag daran, wie wichtig unser Zusammenhalt für eine
friedlichere und sichere Welt ist. Eine Welt, in der die Würde eines jeden Menschen an oberster
Stelle steht. Lassen sie uns also gemeinsam diese Verantwortung annehmen, um jeden Tag ein
wenig Frieden zu schaffen.
Ansprache Henning Meyn (Stellv. Bürgervorsteher, CDU) an der Gedenkstätte In Quickborn-Renzel
Im Namen der Stadt Quickborn und im Namen von Bürgermeister Beckmann begrüße ich Sie heute hier in der Friedenstraße in Renzel bei den Ehrenmalen zur Gedenkzeremonie zum Volkstrauertag. Ich freue mich, dass so viele heute dabei sind, und ich bedanke mich schon mal ganz herzlich beim Posaunenchor, der uns unter der Leitung von Michael Schmult eine würdevolle musikalische Begleitung bietet.
Volkstrauertag, ist das nicht diese lästige Pflichtveranstaltung, jedes Jahr, wenn die dunkle Jahreszeit uns schon so richtig im Griff hat? Das Wetter und die kurzen Tage machen einen meistens sowieso schon trübsinnig und dann noch dieser Gedenktag, der an traurige Geschehnisse erinnern soll, die so weit zurückliegen und uns heute eigentlich gar nicht mehr interessieren.
Sie, die hier heute teilnehmen, sehen das zum Glück anders, und dafür bin ich sehr dankbar. Sie und ich können uns sicher darauf verständigen, dass man nicht genug erinnern kann an die Opfer der grausamen Kriege, die millionenfach zu Tod, Gefangenschaft, Folter und Vertreibung geführt haben.
Der erste Weltkrieg und dann auch der noch schrecklichere zweite Weltkrieg haben dazu geführt, diesen Gedenktag ins Leben zu rufen und diese Tradition weiter zu pflegen. Seit fast achtzig Jahren haben wir Frieden, oder jedenfalls keinen Krieg mehr, hier in Mitteleuropa. Heute denke ich manchmal: “Glück gehabt”.
Aber wir dürfen nicht vergessen, dass seitdem in vielen Regionen der Welt bewaffnete Konflikte, Kriege, Bürgerkriege mit ihrem Terror die Menschen quälen. Die schrecklichen Nachrichten aus Nahost und aus der Ukraine begegnen uns täglich - aber je mehr wir davon hören, umso mehr scheinen wir abzustumpfen. Damit das nicht passiert, ist die Erinnerungskultur am Volkstrauertag so wichtig.
Wir hatten uns an den Frieden gewöhnt. Alle Zeichen standen jahrelang auf Entspannung. “Verteidigungsfähigkeit herstellen” das ist heute ein politisches Ziel. Lange war das kein Begriff aus der alltäglichen Diskussion, weil eine Bedrohung von außen zunehmend unwahrscheinlich schien.
Das hat sich heute gründlich geändert: Die Reaktivierung der Wehrpflicht steht wieder zur Debatte, die waffentechnische Aufrüstung der Bundeswehr wird vorangetrieben und die massive Unterstützung der Ukraine mit Waffen und Munition findet breite gesellschaftliche Zustimmung, geleitet von dem Gefühl, dem Angegriffenen helfen zu müssen.
Ich glaube, so mancher, der in der Vergangenheit von einer Welt ohne Waffen geträumt hatte, musste angesichts der bedrückenden Lage in der Ukraine leider seine Meinung überdenken. Denn Frieden und Freiheit und auch Demokratie, das geht für uns nur zusammen. Das ist eine der Lehren aus der Zeit der Nazidiktatur, die den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hat.
Oder wie es der Historiker Prof. Dr. Stephan Lehnstaedt in einem Essay über den D-Day und über den Aufstand im Warschauer Ghetto formuliert:
Die Ereignisse des 2. Weltkrieges erinnern uns daran, “dass Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeit sind,
sondern ständigen Einsatz erfordern. Und sie ermutigen
uns, das Wissen über die Vergangenheit lebendig zu halten, damit wir die Fehler unserer Vorfahren nicht wiederholen. Das gemeinsame Gedenken ist ein unerlässlicher Schritt auf dem Weg zu gegenseitigem Respekt, zu Frieden und Versöhnung.
Als Gesellschaft tragen wir die Verantwortung, die Wahrheit über unsere Geschichte zu erzählen und damit den Toten gerecht zu werden.«
Auch, wenn es also im Moment nicht danach aussieht: Ich glaube fest daran, dass eines Tages überall die Erkenntnis einkehren muss, dass Frieden der Sehnsucht der Menschen entspricht und nicht Gewalt, Krieg und Zerstörung. In den Geschichtsbüchern sollten nicht die verklärt werden, die mit kriegerischer Gewalt regiert oder besser “geherrscht” haben, sondern die, die nach innen und nach außen Frieden geschaffen und bewahrt haben.
Lassen Sie uns gemeinsam, jeder in seinem Umfeld für Respekt, Toleranz und Wertschätzung des Mitmenschen eintreten.
Wenn das irgendwann auch unter den Völkern geübt wird, dann hat die Gedenktradition des Volkstrauertages ihren Sinn bewiesen.
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