50 Reisen in die Arktis, 15 mal am Nordpol - die Abenteurerin und Autorin Birgit Lutz kennt sich aus in den kalten Gefilden unserer Welt. Jetzt liest sie in Quickborn aus ihrem neuen Buch „Heute gehen wir Wale fangen", in dem sie über das Leben in Grönland berichtet.
Als Birgit Lutz 2013 im Rahmen einer Expedition erstmals in den Osten der Insel
kommt, ist sie fasziniert. Sie kehrt mehrmals nach Ostgrönland zurück, das erst
vor etwa 130 Jahren von den Europäern entdeckt wurde. Sie trifft Menschen, die
noch in Erdhäusern aufgewachsen sind. Jugendliche, denen beim rasanten Anschluss an den modernen Lebensstil die Identität abhandengekommen ist. Und Europäer, die sich hier ein entschleunigtes
Leben erhofften. Sie findet Menschen, die zwischen den Welten leben und wird selbst immer wieder auf die Probe gestellt – zum Beispiel, wenn sie mit zur Robbenjagd geht und sich das Jägerleben
aus der Sicht derer zeigen lässt, die es seit Jahrhunderten führen.
Birgit Lutz gelingt ein fesselndes, einfühlsames Porträt Ostgrönlands in einer
einmaligen Zeit – dem Moment, in dem eine Kultur für immer verschwindet.
Während der Lesung präsentiert die Autorin beeindruckende Panoramaaufnahmen
ihrer zahlreichen Abenteuerreisen nach Grönland.
Birgit Lutz lebt am oberbayerischen Schliersee. Als Journalistin arbeitete sie 15
Jahre für die Süddeutsche Zeitung. 2007 unternahm sie ihre erste Expedition zum
Nordpol. Insgesamt hat sie bis heute mehr als 50 Reisen in die Arktis unternommen
und war 15 Mal am Nordpol. Über ihre Erlebnisse im „ewigen Eis“ hat siebereits mehrere Bücher veröffentlicht.
Lesung in der Stadtbücherei Quickbborn, Montag, 16. April 2018, 19.30 Uhr. Der Eintritt für diese Veranstaltung beträgt 7,-- Euro. Karten sind in der Stadtbücherei und in der Buchhandlung
Theophil erhältlich.
EXKLUSIV-INTERVIEW MIT BIRGIT LUTZ
Frau Lutz, wie ist die Idee zur Lesung in Quickborn entstanden?
„Die Idee zu der Lesung in Quickborn ist privat entstanden. Meine Trauzeugin, die Meeresbiologin Miriam Marquardt, die in Spitzbergen lebt, kommt aus Quickborn. Ihr Vater hat den Anstoß zu einer Veranstaltung in Quickborn gegeben.“
Was erwartet die Besucher auf Ihrer Veranstaltung?
„Ich nehme meine Gäste mit nach Grönland. Ich werde nicht nur aus dem Buch lesen, ich zeige auch viele Fotos und Filme von den Reisen und den Menschen, denen ich begegnet bin und deren
Erzählungen im Buch niedergeschrieben sind. So können sich die Gäste wirklich mit mir auf eine Reise begeben, hinein in die grönländische Welt, die auch mir sehr fremd war anfänglich, in der ich
aber sehr herzlich aufgenommen wurde und viele bezaubernde, aber auch traurige Dinge
erlebt habe.
Im Fokus stehen dabei die Menschen. Ich lasse Grönländer erzählen, wie ihr Leben aussieht. Ich zeichne ein Bild von Grönland, das nicht nur aus blauem Himmel und weißem Eis besteht. Ich zeige das ganzeBild, ich schaue auch da hin, wo es weh tut. Ich schildere die Zerrissenheit der jungen Menschen genauso wie das Verlorensein der Jäger zwischen dem traditionellen Leben und der Moderne. Über kein Land der Welt kam die Moderne so schnell wie über Ostgrönland, dort finden Sie noch Menschen, die keine 60 Jahre alt sind und in Erdhäusern, in der Steinzeit, aufgewachsen sind, heute aber mit i-Phones und Steuererklärungen leben müssen. Das ist unglaublich spannend. Ich schildere auch, welchen Schaden Umweltorganisationen mit ihren Kampagnen gegen die Robbenjagd angerichtet haben und immer noch anrichten.“
Welche Rückmeldungen nehmen Sie von Ihren Lesungen mit?
„Viele Menschen sagen mir, dass sie das alles ja gar nicht gewusst haben, wie es wirklich aussieht mit Robben- und Waljagd. Und wie sehr sie es schätzen, dass ich
keine Meinung vorgebe, sondern meine Zuhörer selbst ihre Meinung bilden lasse. Viele sagen mir, dass das Buch nicht nur ein Buch über Grönland ist, sondern ein Buch über viele
Funktionsmechanismen unserer Gesellschaft, auch über unsere
heutige Debattenkultur.“
Wie entstand Ihre Idee zum Buch, wie sieht Ihr Schreibprozess aus?
„Meine Idee zu dem Buch hat sich lange entwickelt. Als ich Grönland durchquert hatte, 2013, dachte ich hinterher, dass ich nun zwar weiß, dass es viel Eis gibt in Grönland, mehr aber nicht. Ich
wollte aber mehr über die Menschen wissen, über deren Leben. Ich wollte Grönland nicht nur für mein Abenteuer benutzt
haben. Das Bild des Dorfs Isortoq, in dem wir am Ende ankamen, hat mich nicht mehr losgelassen. Wie lebt man dort, in dieser Eiswüste am Ende der Welt?
Ich kehrte 2015 also zurück. Dass ich das Buch so schreiben werde, wie es nun ist, hat sich aber erst noch entwickelt. Irgendwann war mir klar, dass ich die Grönländer selbst sprechen lassen
muss. Genau das kommt nun bei den Lesern auch sehr gut an. Die Mischung aus meinen Erlebnissen, aber auch, dass die Grönländer selbst so viel beschreiben. Ich mache mir unterwegs immer Notizen.
Ich beobachte viel, denke viel nach, schreibe auf, in ein Notizbuch. Ich fotografiere auch viel. Irgendwann ergibt sich dann ein Bild, ein Anfang. Diesem
Buch habe ich viel Zeit gegeben.“
Welches Erlebnis aus Ihrer Grönland-Expedition ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
„Bei den Reisen zum neuen Buch ist es schwer zu sagen, in Grönland ist alles
und nichts spektakulär. Alles ist anders, und das, was es faszinierend macht, ist das
Gesamtbild.“
Was reizt Sie an Grönland?
„Dass es dort auf grundlegendere Dinge ankommt. Dass man warm und trocken ist, zu essen hat, fertig. Es ist nicht wichtig, was man anhat, welches Auto man fährt. Es geht nicht darum, was man
besitzt, sondern welche Person man ist. Dieses ganze künstliche Zeug, mit dem wir uns in Europa umgeben, dieses Ausgerichtetsein
auf Materielles, auf Konsum - das ist dort alles so unwichtig, dass einem vieles, was hier scheinbar so wichtig ist, aus der nordischen Perspektive sogar lächerlich erscheint. Und natürlich: das
Licht, die Natur, die Menschenleere, endlose Weiten ohne einen Hinweis auf Menschen, grandiose Tierbegegnungen - und das Empfinden von Demut.“
Was können wir Norddeutschen an der Waterkant von den Grönländern lernen?
„Dass auf der Welt alles mit allem zusammenhängt und es in Grönland Auswirkungen hat, wie wir hier leben. Dass es gut ist, etwas mehr im Hier und Jetzt zu leben. Dass es bei fast allen Themen
nicht nur ein Richtig und Falsch gibt
und man Meinungen auch mal nebeneinander stehen lassen kann.
Dass man Menschen nach dem wahrnimmt, wie sie sich verhalten
und nicht nach dem, wie sie aussehen oder was sie haben.“
Vielen Dank für das Gespräch!
Birgit Lutz / Und heute gehen wir Wale fangen /btb Verlag 445 Seiten,
22,50 Euro
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